Antriebstechnik

Das Leichtgewicht unter den elektrischen Baumscheren:
Kleine DC-Motoren für ergonomisches Arbeiten

Selbst kleine Hand- oder Armbewegungen können nachhaltige Schäden an Muskeln, Sehnen und Nerven hervorrufen, wenn sie nur oft genug wiederholt werden. Jeder, der schon mal unter einem Maus- oder Tennisarm gelitten hat, kennt die Schmerzen des sogenannten RSI-Syndroms (Repetitive Strain Injury, also Verletzungen durch vielfach wiederholte Bewegungsabläufe). Auch Winzer und Obstbauern, die Jahr für Jahr zahllose Zweige und Sprösslinge stutzen müssen, wissen davon ein Lied zu singen. Viele verwenden deshalb motorisierte Scheren. Um dem Risiko dieses „Scherenarms“ entgegenzuwirken und die Muskulatur zu unterstützen. Bei neuen, besonders handlichen, akkubetriebenen Modellen sind kleine, leichte Gleichstrommotoren die treibende Kraft.

Die Weinqualität hängt zu einem großen Teil von der korrekten Schnitttechnik ab: Jeder Weinstock kann jedes Jahr Dutzende von Trieben bilden. Für einen guten Wein dürfen aber nur ein oder zwei weiter wachsen. Bild: FAULHABER
Bild: FAULHABER

Die Qualität von Obst und Wein hängt zu einem großen Teil von der korrekten Schnitttechnik ab: Jeder Weinstock kann jedes Jahr Dutzende von Trieben bilden. Für einen guten Wein dürfen aber nur ein oder zwei weiter wachsen. Alle überflüssigen Triebe werden deshalb direkt am Ansatz abgeschnitten und die Haupttriebe eingekürzt. Pro Trieb ist damit mindestens ein Schnitt nötig. Da auf einer Fläche von einem Hektar zwischen 5.000 und 10.000 Weinstöcke wachsen, kommen pro Hektar schnell um die 100.000 Schnitte zusammen. Ähnliches gilt für den Obstanbau. Die kleinen Obstbäume, die in der intensiven Landwirtschaft heute üblich sind, müssen während eines Baumlebens über hundert Mal getrimmt und gekürzt werden.

Pneumatische Systeme und ihre Grenzen

Jeder Schnitt mit einer „normalen“, rein mechanischen Hand-Baumschere benötigt recht viel Kraft, beansprucht Hände und Arme und führt meist nach relativ kurzer Zeit zu schmerzhaften Ermüdungserscheinungen. Schon lange gibt es deshalb automatisierte Scherenmodelle, die Winzer und Obstbauern entlasten sollen: Pneumatische Systeme beispielsweise sind heute noch weit verbreitet und man kann die Geräusche der Kompressoren im Herbst und Winter überall in den Weinbergen hören.

Während solche pneumatische Scheren eine gute Lösung für das Schneiden von kräftigen Zweigen sind, ist die Handhabung beim Schneiden der Weinreben wenig praxisgerecht. So braucht es bei den recht dünnen Trieben gar nicht so viel Kraft; sie sind selten über 2  cm dick und nicht verholzt. Erschwerend kommt aber noch hinzu, dass Kompressor und Schere über einen bis zu 100  m langen Druckluftschlauch miteinander verbunden sind. Die Winzer müssen also, wenn sie mit dem Beschneiden einer Reihe fertig sind, wieder zum Kompressor zurück gehen und diesen neu positionieren, bevor sie mit der nächsten Reihe weiter machen können. Das kostet Zeit und der Schlauch muss auch jedes Mal hinterhergezogen werden.

Jedes Gramm zählt

Der Winzer kann den Akku einfach am Gürtel befestigen und sich ohne Einschränkung auf dem Weinberg in den Reihen bewegen. Die Scheren sind mit dem Akku über ein kurzes Kabel verbunden. Bild: FAULHABER
Der Winzer kann den Akku einfach am Gürtel befestigen und sich ohne Einschränkung auf dem Weinberg in den Reihen bewegen. Die Scheren sind mit dem Akku über ein kurzes Kabel verbunden.
Bild: FAULHABER

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die Druckluft durch elektrische Energie zu ersetzen, denn moderne Lithium-Ionen Batterien haben hierfür gute Voraussetzungen geschaffen. Sie punkten durch ein geringes Gewicht. Der Winzer kann den Akku deshalb einfach am Gürtel befestigen oder wie einen kleinen Rucksack tragen und sich damit ohne Einschränkung auf dem Weinberg zwischen den Reihen bewegen. Die Scheren sind dann mit dem Akku über ein kurzes Kabel verbunden. In den Griffen der Scheren sind Elektromotoren integriert. „Während der Schnittsaison müssen die Bediener die Scheren oft wochenlang jeden Tag viele Stunden in der Hand halten. Jedes Gramm, was sich bei der Konstruktion der Scheren einsparen lässt, kommt dadurch der Gesundheit der Bediener zugute“, erklärt Patrizio Pellicanò, technischer Direktor bei Campagnola.

Dieses Scherenpaar ist eines der leichtesten Modelle auf dem Markt. Es schafft bis zu 70 Schnitte pro Minute, kann Triebe bis 2,5 mm Durchmesser schneiden und sowohl automatisch als auch manuell betrieben werden. Bild: CAMPAGNOLA
Dieses Scherenpaar ist eines der leichtesten Modelle auf dem Markt. Es schafft bis zu 70  Schnitte pro Minute, kann Triebe bis 2,5  mm Durchmesser schneiden und sowohl automatisch als auch manuell betrieben werden.
Bild: CAMPAGNOLA

Das im Norden Italiens in Bologna ansässige Unternehmen hat ein Scherenpaar entwickelt, das den Beruf des Winzers in jeglicher Hinsicht vereinfacht. Dabei ist der integrierte Motor die ausschlaggebende Komponente, aber nicht nur hinsichtlich seines Gewichts. „Der Antrieb muss ein hohes Drehmoment bieten, während die Masse auf ein Minimum reduziert wird“, erklärt Christian Lucini von FAULHABER MINIMOTOR, der für das Projekt verantwortlich ist. „Er sollte außerdem mit hohen Drehzahlen arbeiten, um die Schnitte so schnell wie möglich umzusetzen. Durch den Start-Stopp-Charakter dieser Arbeiten, mit konstanten Belastungswechseln, muss die Schere außerdem ohne Warmlauf sofort die volle Kraft zur Verfügung stellen. Ebenfalls wichtig ist ein möglichst niedriger Energieverbrauch, um die Bedienzeit zu maximieren.“

Leichtes Kraftpaket: Getestet und für gut befunden

Treibende Kraft der Scheren: Der Gleichstrommotor wiegt lediglich 156 g, hat einen Durchmesser von 26 mm und ist 57 lang. Er liefert 47,9 W Ausgangsleistung und eignet sich für Drehzahlen bis 7000 U/min bei einem Anhaltemoment von 286 mNm. Bild: FAULHABER
Treibende Kraft der Scheren: Der Gleichstrommotor wiegt lediglich 156 g, hat einen Durchmesser von 26 mm und ist 57 lang. Er liefert 47,9 W Ausgangsleistung und eignet sich für Drehzahlen bis 7000 U/min bei einem Anhaltemoment von 286 mNm.
Bild: FAULHABER

Basierend auf diesen Kriterien hat CAMPAGNOLA Antriebe verschiedener Hersteller getestet „Diesen Vergleich hat der Gleichstrom-Mikromotor der Baureihe 2657 aus dem FAULHABER-Programm eindeutig gewonnen“, erinnert sich Patrizio Pellicanò. „Da der Motor gerade einmal 156  Gramm wiegt, ist das gesamte Antriebssystem 80  Gramm leichter als andere Motor-Getriebe-Kombinationen. Zusätzlich sorgt der hohe Wirkungsgrad in Verbindung mit dem niedrigen Energieverbrauch für eine Nutzungsdauer von zehn Stunden pro Akkuladung, was einer 20 % höheren Akkulaufzeit gegenüber den Konkurrenzprodukten entspricht.“

Mit einem Durchmesser von lediglich 26  mm bei 57  mm Länge ließ sich der kleine grafitkommutierte Gleichstrommotor außerdem gut in das Scherenpaar integrieren. Er liefert 47,9  W Ausgangsleistung und eignet sich für Drehzahlen bis 7000  U/min bei einem Anhaltemoment von 286  mNm. Auch die Grafitkommutierung erwies sich für diese Anwendung als ideal, denn dieses Kommutierungssystem ist sehr robust und eignet sich besonders für dynamische Hochleistungsapplikationen mit schnellem Start-/Stoppbetrieb oder periodischen Überlastbedingungen.

Komfortables Arbeiten im Weinbau

Wenn Drähte zwischen den Schnittblättern erkannt werden, stoppen die Scheren automatisch. Bild: FAULHABER
Wenn Drähte zwischen den Schnittblättern erkannt werden, stoppen die Scheren automatisch.
Bild: FAULHABER

Das Pony Model, in dem der kleine Gleichstrommotor heute arbeitet, ist das leichteste Scherenpaar, das Campagnola anbietet und gleichzeitig eines der leichtesten Modelle auf dem Markt. Es schafft bis zu 70  Schnitte pro Minute, kann Triebe bis 2,5  mm Durchmesser schneiden und sowohl automatisch als auch manuell betrieben werden. Im automatischen Modus schließen die Schnittblätter vollständig, sobald die Finger den Abzug betätigen. Im manuellen Modus richten sich die Schnittblätter nach den Fingerbewegungen, was bedeutet, dass der Motor sehr präzise reagieren und die Ausgangsleistung exakt an die Bewegung anpassen muss „Der Gleichstrommotor bewältigt diese Feinkoordination ebenfalls mit Bravour.“ betont Patrizio Pellicanò. Die Scheren schützen außerdem die triebstützenden Drähte. Wenn Drähte zwischen den Schnittblättern erkannt werden, stoppen die Scheren automatisch.

Ein Schnittzähler, der auch die Betriebszeiten erfasst, ermöglicht es, die Scherenbewegungen detailliert zu überwachen und erlaubt es dem Bediener, Serviceintervalle einzuhalten. Empfohlen wird eine Überholung der Scheren nach 400.000  Schnitten. „Insbesondere in großen Unternehmen laufen die Geräte für den Beschnitt von Weinstöcken und Obstbäumen permanent“, fährt Patrizio Pellicanò fort. „Unter dieser konstanten Belastung müssen die Scheren in der Lage sein, über vier bis fünf  Jahre ohne Defekte zu arbeiten. Der kleine Motor hat sich mit seinen Eigenschaften und der hohen Verlässlichkeit im Dauerbetrieb bewährt. Wir haben also definitiv die richtige Wahl getroffen.“

Über Faulhaber
Die FAULHABER-Gruppe mit ihren 1.900 Mitarbeitern ist spezialisiert auf Entwicklung, Produktion und Einsatz von hochpräzisen Klein- und Kleinstantriebssystemen, Servokomponenten und Steuerungen bis zu 200 Watt Abgabeleistung. Dazu zählt die Realisierung von kundenspezifischen Komplettlösungen ebenso wie ein umfangreiches Programm an Standardprodukten wie bürstenlose Motoren, DC-Kleinstmotoren, Encoder und Motion Controller. Die Marken der FAULHABER GROUP gelten weltweit als Zeichen für hohe Qualität und Zuverlässigkeit in komplexen und anspruchsvollen Anwendungsgebieten wie Medizintechnik, Fabrikautomation, Präzisionsoptik, Telekommunikation, Luft- und Raumfahrt sowie Robotik. Vom leistungsstarken DC-Motor mit 200 mNm Dauerdrehmoment bis zum filigranen Mikroantrieb mit 1,9 mm Außendurchmesser umfasst das FAULHABER Standardportfolio mehr als 25 Millionen Möglichkeiten, ein optimales Antriebssystem für eine Anwendung zusammenzustellen. Dieser Technologiebaukasten ist zugleich die Basis für Modifikationen, um auf besondere Kundenwünsche hinsichtlich Sonderausführungen eingehen zu können.

Titelbild: Faulhaber

Ellen-Christine Reiff

Studium der deutschen Philologie, danach tätig bei Theater und Fernsehen, seit 1986 freie Journalistin beim Redaktionsbüro Stutensee mit Schwerpunkt Optoelektronik, elektrische Antriebstechnik, Elektronik und Messtechnik.

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