DC-Kleinstantriebe im Dienst des medizinischen Fortschritts:Bionische Handprothese ermöglicht Fühlen und Tasten
Die menschliche Hand ist ein kompliziertes Gebilde aus insgesamt 27 Einzelknochen, die durch Gelenke, Sehnen und Bänder miteinander verbunden sind. Hinzu kommen Muskeln und Nerven, die präzises Greifen filigraner Teile ebenso ermöglichen wie ein kräftiges Zupacken. Gesunde Menschen müssen darüber nicht nachdenken, wie technisch anspruchsvoll die dabei ablaufenden Bewegungsmuster sind. Sie künstlich nachzubilden ist dagegen eine große Herausforderung. Die moderne Prothetik stellt sich ihr mittlerweile mit beachtlichem Erfolg. Dabei ist sie auf Kleinstmotoren angewiesen, die durch geringes Trägheitsmoment und rastmomentfreien Lauf die unterschiedlichsten Arbeitsabläufe der künstlichen, bionischen Hände unterstützen.
In der heutigen Zeit bewegt sich die Prothetik auf einem hohen Niveau. So durfte im Sommer 2014 der deutsche Weitspringer Markus Rehm nicht mit zur Leichtathletik-Europameisterschaft reisen. Der deutsche Verband befürchtete, dass er mit seiner Carbon-Beinprothese gegenüber gesunden Sportlern beim Absprung einen Vorteil habe. Das zeigt, wie leistungsfähig solche künstlichen Gliedmaße heute sind. Die auf dem Markt verfügbaren Handprothesen beispielsweise erkennen die Muskelbewegungen im Armstumpf und ermöglichen dem Träger, die Hand zu öffnen und zu schließen. Wer sie trägt, kann also wie gewohnt greifen. Trotzdem haben sie einen entscheidenden Nachteil, der letztendlich verhindert, dass sie dem Träger das verlorene Körperteil wirklich ersetzen. Der Prothesenträger kann nicht fühlen, was er hält oder wie fest er zupackt. Weil es keine Rückmeldung sensorischer Informationen ans Gehirn gibt, muss er die Prothese ständig im Auge behalten, um die Greifkraft zu steuern und an den jeweiligen Gegenstand anzupassen. Er weiß also nur aufgrund seiner visuellen Information, wie fest er zupacken muss oder darf.
Sensorische Rückmeldung ans Gehirn
Hier setzt das Projekt LifeHand 2 an. Die bionische Handprothese wurde von einem internationalen Forscherteam an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) entwickelt und befindet sich nach ersten, sehr Erfolg versprechenden klinischen Studien (vgl. Kastentext) zurzeit in der weiteren Erprobung. Insgesamt waren sechs Forschungseinrichtungen aus Italien, der Schweiz und Deutschland beteiligt. Professor Silvestro Micera und sein Team von der Scuola Superiore Sant’Anna (SSSA) in Italien entwickelten das System für die sensorische Rückmeldung, dank dessen der Prothesenträger Gegenstände mit angepasstem Druck greifen und ihre Beschaffenheit fühlen kann. Selbst welche Finger gerade Kontakt zum Objekt haben, kann er auf diese Weise feststellen.
Dazu wurde die LifeHand 2 mit Sensoren ausgestattet, die die Spannung in den künstlichen Sehnen messen. Ein Computer übersetzt mithilfe ausgeklügelter Algorithmen die Messwerte in elektrische Signale, die die Nerven interpretieren können. Die Sensor-Signale der Kunsthand werden dann über implantierte Elektroden an den Mittelarmnerv (Nervus Medianus) und den Ellennerv (Nervus Ulnaris) weitergegeben und ans Gehirn geleitet. Trotz dieser Technik bleiben Größe und Gewicht der Prothese mit denen einer natürlichen Hand vergleichbar. Dazu trägt auch die eingesetzte Antriebslösung durch ihre kompakten Abmessungen und ihre hohe Leistungsdichte entscheidend bei.
Die passende Antriebslösung: klein, leicht und dynamisch
Treibende Kraft der bionischen Handprothese sind edelmetallkommutierte DC-Kleinstmotoren aus dem Hause FAULHABER. Mit einem Motordurchmesser von 13 Millimetern und einer Motorlänge von 31 Millimetern sind die Motoren kompakt und wiegen lediglich 19 g. Von herkömmlichen Ausführungen unterscheiden sie sich hauptsächlich durch den Rotor. Dieser ist nicht auf einen Eisenkern gewickelt, sondern besteht aus einer freitragenden, in Schrägwicklung hergestellten Kupferspule. Der leichte Rotor überzeugt durch ein geringes Trägheitsmoment und rastmomentfreien Lauf, was wiederum der Dynamik zugutekommt. Bei Motoren mit kleiner Leistung haben sich die Edelmetall-Kommutierungssysteme zudem wegen ihres geringen Übergangswiderstands bestens bewährt. Außerdem benötigen sie nur sehr geringe Anlaufspannungen und sind gegenüber Spannungsschwankungen tolerant. Die lineare Charakteristik der Motoren vereinfacht außerdem die Regelung.
Von diesen Eigenschaften lässt sich natürlich nicht nur bei der bionischen Handprothese, sondern auch in vielen anderen Anwendungen profitieren. Die Kleinstmotoren stehen mit Durchmessern von 6 bis 22 mm zur Verfügung und werden ergänzt durch eine umfangreiche Auswahl an Standardkomponenten wie hochauflösenden Encodern, Präzisionsgetrieben und Steuerungen. Für besondere Anforderungen lassen sie sich zudem modifizieren. Zu den häufigsten Anpassungen gehören beispielsweise Vakuumtauglichkeit, Erweiterung des Temperaturbereichs, modifizierte Wellen, andere Spannungstypen sowie kundenspezifische Anschlüsse oder Stecker. Dementsprechend breit gefächert ist das Anwendungsspektrum; es reicht von der Medizin- und Kameratechnik sowie Robotik bis hin zu beliebigen Automatisierungsaufgaben und eben auch der Bionik.
Die ersten klinischen Studien der bionischen Handprothese haben die Erwartungen der Entwickler weit übertroffen. Dennoch werden bis zu einer breiten Anwendung der LifeHand 2 noch Jahre vergehen. Überprüft werden muss beispielsweise noch genau, ob die Elektroden langfristig im Körper verbleiben können, ohne die Nerven zu schädigen. Die Forscher sind hier aber zuversichtlich. In absehbarer Zeit könnte die Technologie klinisch verfügbar sein und vielen Betroffenen helfen. Dazu haben dann auch DC-Kleinstantriebe beigetragen.
Erste klinische Studien verliefen sehr Erfolg versprechend
Im Februar 2013 wurde im Rahmen einer klinischen Studie ein Prototyp der LifeHand 2 getestet. Die Testperson hatte neun Jahre zuvor bei einem Unfall ihre linke Hand verloren. In die Hauptnerven des linken Arms wurden vier Elektroden operativ angebracht und die Prothese angeschlossen. Die Testperson konnte in Echtzeit die Form, die Konsistenz und die Lage von Gegenständen erkennen und diese Informationen nutzen, um nach ihnen mit dem richtigen Griff und dem richtigen Kraftaufwand greifen. Das gelang auch mit verbundenen Augen; die Testperson konnte sogar die Beschaffenheit der Gegenstände beschreiben. Die während der Versuche aufgezeichneten Daten belegen, dass in 97 Prozent der Fälle die Lage eines Objekts richtig erkannt wurde. Außerdem wählte die Testperson in über 90 Prozent der Übungen den richtigen Kraftaufwand. Obwohl die Erfolge die Erwartungen übertroffen haben, werden bis zu einer breiten Anwendung der LifeHand 2 noch Jahre vergehen. Überprüft werden muss noch genau, ob die Elektroden langfristig im Körper verbleiben können, ohne die Nerven zu schädigen.
Titelbild: Prensilia