Zittern präzise simulieren:Hexapoden testen Bildstabilisierung
Scharfe Aufnahmen auch ohne Stativ zu erhalten und dabei natürliche und künstliche Bewegungen auszugleichen, zählt heute bei Kameras und zunehmend auch bei Smartphones zu den entscheidenden Anforderungen. Sensoren erfassen deshalb in Kameras die Zitterbewegungen des Fotografen bzw. die Vibrationen eines Fahr- oder Flugzeugs, damit das Bildstabilisierungssystem sie automatisch korrigieren kann. Dazu werden optische Ausgleichselemente im Objektiv verschoben oder der Bildsensor bewegt. Die entsprechenden Algorithmen und die Mechanik müssen allerdings optimiert und geprüft werden. Bei der dafür notwendigen hochdynamischen Simulation präzise definierter Bewegungen bewähren sich parallelkinematische Hexapoden.
Wer sich mit Fotografie beschäftigt, kennt meist die Faustregel für den Zusammenhang zwischen Brennweite und Belichtungszeit: Die Freihandgrenze bei Aufnahmen im Kleinbildformat liegt beim Kehrwert der Brennweite des verwendeten Objektivs; bei ruhiger Hand sind bei einem 200-mm-Objektiv also verwacklungsfreie Aufnahmen unterhalb einer Verschlusszeit von 1/200 Sekunde möglich. Der praktische Gewinn einer Bildstabilisierung liegt nach Herstellerangaben nun bei bis zu viereinhalb Blendenstufen, das ermöglicht eine bis zu 22-fache Belichtungszeit ohne Verwackeln gegenüber nicht stabilisierten Systemen. Bei einem Feuerwerk oder stimmungsvollen Nachtaufnahmen ohne Blitz beispielsweise spielt ein Bildstabilisator seine Stärken optimal aus, ist aber auch bei normalen Aufnahmen eine große Hilfe.
Mehr als zwei Achsen
An effektiven Testverfahren für die verwendeten Bildstabilisierungsverfahren haben sowohl Hersteller als auch Nutzer Interesse. In diesem Zusammenhang kommt Image Engineering ins Spiel. Deren Kernkompetenz sind Messungen der digitalen Bildqualität und die Entwicklung entsprechender Testverfahren und kompletter Testsysteme für Kameras. Die Bewertung der Bildqualität und die Prüfung der Bildstabilisierung stellen dabei hohe technische Anforderungen an das Testverfahren und dessen Komponenten. Schließlich gilt es, den Tremor, das Zittern der menschlichen Hand, präzise zu simulieren.
Die CIPA (Camera and Imaging Product Association), ein Zusammenschluss der Japanischen Kamerahersteller, hat hierfür mit dem DC-011-2015 ähnlich wie ein DIN-Ausschuss einen technischen Standard für die Testbedingungen bei der Bewegungssimulation verabschiedet. Er definiert Rotationen um die Z- und Y-Achse (Pitch und Yaw) sowie die Testfrequenzen und Schwingungsamplituden, die für eine Zertifizierung gefahren werden müssen. Dieser Standard wird in Kürze in einen internationalen ISO Standard überführt. Das unterschiedliche Bewegungsverhalten bei der Verwendung von klassischen digitalen Kameras und mobilen Geräten wie Telefonen erfordert jedoch die Anpassung des Testverfahrens an die Gegebenheiten der Smartphone-Nutzer. „Kamerahersteller korrigieren Bewegungen zudem nicht mehr nur in zwei Achsen, wie von der CIPA gefordert, sondern fragen immer häufiger nach einer Bildstabilisierung in bis zu fünf Achsen.“ erläutert Dietmar Wüller, Geschäftsführer bei Image Engineering. „Je nach Kameragewicht verändert sich der Tremor und zwei Achsen zur Bewegungssimulation liefern dann nicht mehr wirklich aussagekräftige Testergebnisse. Noch höher sind die Anforderungen bei Smartphones. Sie liegen als Kamera nicht so gut in der Hand und werden beim Fotografieren oft am langen Arm oder mit spitzen Fingern gehalten, außerdem ist der Auslöser das Display, auf das von hinten gedrückt wird “.
Parallelkinematik simuliert Tremor
Bei mehrachsigen Testsystemen stoßen die bisher üblichen seriellen, also gestapelten Systeme allerdings an ihre Grenzen, denn die Führungsfehler addieren sich. Parallelkinematische Systeme bieten hier bessere Voraussetzungen. Ihre Vorteile sind vor allem die deutlich höhere Bahntreue, Wiederholgenauigkeit und Ablaufebenheit sowie die geringere bewegte Masse und damit eine höhere und für alle Bewegungsachsen gleiche Dynamik. Auch benötigen sie kein aufwendiges Kabelmanagement und bauen deutlich kompakter. „Mit den Hexapoden von Physik Instrumente haben wir Systeme gefunden, die sich für die Bewegungssimulation hervorragend eignen, also das genau definierte „Kameraschütteln“ reproduzierbar übernehmen; wir konnten sie einfach entsprechend unserer Vorgaben ansteuern und unser Messverfahren anwenden“, freut sich Wüller. „Der Tremor der Menschen geht bis etwa 12 Hz. D. h. die Tests müssen Frequenzen von 0 bis 12 Hz abdecken. Das Gros der geforderten Frequenzen spielt sich im Bereich zwischen 4 und 8 Hz ab. Die Hexapoden sind dafür geradezu prädestiniert.“
Unterschiedliche Gewichtsklassen und Stellwege
Für die Testsysteme entschieden sich die Bildstabilisierungsspezialisten für zwei unterschiedliche Hexapoden, je nach Gewicht der Prüflinge und der geforderten Stellwege: Der Mini-Hexapod H-811 wird in Testsystemen für Smartphones verwendet. Bei schwereren Kameras oder größeren Stellwegen kommt der universelle H-840 zum Einsatz. Beide sind perfekt auf die Belange der Prüfung von Bildstabilisierungssystemen ausgelegt und von der CIPA bereits zertifiziert „Mit dieser CIPA-Zertifizierung ist es uns gelungen, eine Vorreiterrolle bei der Qualifizierung eines Sechs-Achsen-Systems für die Beurteilung von Bildstabilisierungssystemen zu erreichen“, betont Wüller.
Heute bewähren sich beide Hexapoden im praktischen Einsatz: Der Minihexapod kann Schwingungen, z. B. rotatorische Bewegungen, mit einer Dynamik von 20 Hz über 0,1° Auslenkung simulieren. Dabei führt das parallelkinematische Positioniersystem wiederholbar eine definierte Prüftrajektorie aus. Es bietet Stellwege bis 34 mm in der XY-Ebene und bis zu 13 mm in Z-Richtung. Die Kippwinkel betragen 20° um die X- und Y-Achse und bis zu 42° um die Senkrechte. Der H-840 trägt höhere Lasten, bietet Stellwege bis 100 mm und Rotationswinkelwinkel bis 60°.
Einfache Ansteuerung und frei definierbarer Pivotpunkt
Die Ansteuerung übernimmt bei beiden Hexapoden der leistungsfähiger Digitalcontroller C-887, der dank einer bedienerfreundlichen Software eine einfache Kommandierung ermöglicht. Die Positionen werden in kartesischen Koordinaten vorgegeben, alle Transformationen auf die sechs Einzelantriebe finden im Controller statt.
Eine wesentliche Eigenschaft der Hexapoden ist der frei definierbare Rotations- oder Pivotpunkt. Damit kann die Bewegung der Hexapod-Plattform gezielt auf die jeweilige Kamera abgestimmt und in den Gesamtprozess integriert werden. „Bei unseren Testsystemen schätzen wir diese Funktion, da das Kamerasystem auf dem Hexapod nicht immer so positioniert ist, dass der Bildsensor in der Mitte aller Freiheitsgrade liegt.“ erklärt Philipp Feldker, Entwicklungsingenieur bei Image Engineering. „Mit unserer Testsoftware lesen wir dann die Daten über die TCP/IP-Schnittstelle aus dem Controller aus und passen sie je nach Bedarf an“, ergänzt Wüller. Durch die hohe Samplingrate des Controllers lassen sich auch kundenspezifische Prüfabläufe einfach mit der von Image Engineering bereitgestellten Software erstellen und übertragen.
Was wird getestet?
Für die Tests wird der Hexapod auf einer Grundplatte befestigt. Auf seiner Plattform sind Kamerahalterung und ein Digitus, ein mechanischer Finger zum Auslösen der Kamera, montiert. Das Testchart wird formatfüllend aufgenommen. Während der Hexpod die Kamera gemäß der Prüftrajektorien bewegt, werden Aufnahmen vom Testchart gemacht. Im Anschluss wird die Bewegungsunschärfe aus diesen analysiert. Geprüft wird, wie sich die Breite von mehreren schrägen Kanten bei verschiedenen Belichtungszeiten und bei ein- oder ausgeschalteter Bewegungskompensation verhält. Die Bildstabilisierung soll dabei erreichen, dass die Verschiebungen im Bild geringer werden.
Prinzipiell funktioniert eine Bildstabilisierung nicht nur in der Fotografie. Auch im Automobilbereich finden sich Beispiele, wo derartige Tests sinnvoll sind, z.B. bei der automatischen Verkehrszeichenerkennung, die auch bei starken Vibrationen und schlechten Lichtverhältnisse zuverlässig funktionieren soll. „Die Frequenzen liegen hier zwar höher, aber mit Hilfe entsprechender Hexpoden lassen sich auch dafür die passenden Testverfahren bereitstellen“, so Wüller abschließend.
Titelbild: Image Engineering